Der „Osterwolf“ – ein vergessenes pommersches Volksgut

Der Wolf ist zurück! Immer wieder hört man von Begegnungen zwischen Mensch und Tier in Vorpommern. Es kursieren Bilder und Videos auf denen Isegrim durch die weite Landschaft streift. Ein anderer Wolf, der einst zum Brauchtum gehörte, ist dagegen bisher nicht zurückgekehrt – der Osterwolf.

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Osterwölfe aus Stralsund und Greifswald um 1930

Der Greifswalder Volkskundler Karl Kaiser berichtete Mitte der 1930er Jahre, dass allein in der Hansestadt etwa 20 Bäcker ‚Osterwölfe‘ verkauften – vorwiegend an Gründonnerstag und Karsamstag. Das Gebäck wurde aus Brötchenteig hergestellt und in unterschiedlichsten Formen. In der Regel erinnerte es an einen toten Wolf, der alle Viere von sich streckte. Die Grundform bestand demnach aus einem etwa 15 cm langen Mittelstück, aus dem auf beiden Seiten je zwei Querstücken herausragten. Die Ausführungen des einzelnen Osterwolfs unterschieden sich dann je nach Bäcker. In der einen Backstube wurde das Mittelstück auf die Querstreifen gelegt, in der anderen waren die Querstreifen oben auf oder das Gebäck wurde gänzlich aus einem Stück geformt. Zuweilen wurden die Querstreifen aber auch um den Körper geschlungen oder der Osterwolf erhielt Augen aus Rosinen.

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Kind knabbert an Osterwolf, um 1930

Die früheste Erwähnung des Osterwolfes stammt aus dem Jahr 1451. Demnach mussten die Bäcker der Stadt Greifswald dem Ratszollbeamten zu Ostern einen Wolf („to Paschen enen Wulff“) liefern. Es handelt sich somit wohl um eine Art Osterstift der Bäckerszunft. In Stralsund wurden sie 1558 als Wölfe zum Neujahr bezeichnet – nach dem georgischen Kalender war Ostern Jahresanfang (Paschalstil). Seinem Tagebucheintrag von 1563 zufolge, erhielt der Stralsunder Bürgermeister Nikolaus Gentzkow zu Neujahr drei „Wölfe“ von einer Stralsunder Bäckersfrau. Benannt ist der „Osterwolf“ vermutlich nach alten Vegetationsdämonen – es sollten wohl Opfergaben für den „Korndämon“ oder „Roggenwolf“ sein. Der Osterwolf scheint aber ein ausschließliches pommersches Volksgut sein, denn das Gebäck konnte Kaiser lediglich nördlich der Peene nachweisen.

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1935 und 1936 festgestelltes Verbreitungsgebiet des „Osterwolfes“

Weiterführende Literatur:

  • Karl Kaiser, Der Osterwolf, in: Das Bollwerk, April 1936, S.110-112.
  • Karl Kaiser, Atlas der pommerschen Volkskunde (Textband), Greifswald 1936, S.102-103.
  • Max Höfler, Gebäcke und Gebildebrote, in: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde, 1914, S.305-309.
  • Max Höfler, Ostergebäcke – Eine vergleichende Studie der Gebildebrote zur Osterzeit, Wien 1906, S.58-60.
  • Eckstein, Osterwolf, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Berlin 1927, Sp.1363.