Am 18. November 2015 starb in Göttingen nach schwerer Krankheit unser langjähriges Mitglied, der Historiker Professor Dr. Dr. h.c. mult. Rudolf v. Thadden, geboren auf dem väterlichen Gut Trieglaff bei Greifenberg in Hinterpommern am 20. Juni 1932. Sein Vater war der Gutsherr D. Dr. Dr. h.c. Reinold v. Thadden-Trieglaff, DD (1891-1976), ein führender Kopf der „Bekennenden Kirche“ im Dritten Reich und Gründer sowie langjähriger Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentags.
Nach dem Studium der Geschichte, Evangelischen Theologie und Romanistik und der Promotion an der Georgia-Augusta zu Göttingen durch den großen Göttinger Historiker Professor Dr. Reinhard Wittram, einem Deutschbalten, habilitierte er sich ebenfalls in Göttingen 1967. Ein Jahr später wurde er an derselben Universität auf einen Lehrstuhl für Neuere Geschichte berufen, dem er bis zu seiner Emeritierung treu blieb. Eines seiner Arbeitsgebiete war die Geschichte Preußens. Hier seien nur an seine – nicht unumstrittene – Darstellung „Fragen an Preußen. Zur Geschichte eines aufgehobenen Staates“, München 1981, sowie seine vielbeachtete Rede beim Festakt zur Eröffnung der großen Preußen-Ausstellung in Berlin am 15. August 1981 erinnert. Noch stärker aber widmete er sich der französischen Geschichte und der deutsch-französischen Aussöhnung und Zusammenarbeit. Er war „Directeur d’Etudes associé“ an der „Ecole des Hautes Etudes en Siences Sociales Paris“, Direktor des „Berlin-Brandenburgischen Instituts für Deutsch-Französische Zusammenarbeit in Europa e. V.“ im Schloss zu Genshagen von 1993 bis 2007 und im Auftrag der Bundesregierung Koordinator für die deutsch-französische Zusammenarbeit im Auswärtigen Amt von 1999 bis 2003. Allein diese Ämter zeugen von der Achtung, die dieser kultivierte und umgängliche Gelehrte, der stets um Ausgleich bemüht war, allenthalben genoss. Die Erfahrungen auf dem Gebiet der deutsch-französischen Zusammenarbeit befähigten Rudolf v. Thadden, sich auch für die Versöhnung Deutschlands mit Polen und eine entsprechende Zusammenarbeit in Kultur und Wissenschaft tatkräftig einzusetzen. Hier hat er sich insbesondere um den Aufbau der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder eingesetzt. Die würdigte ihn zum Dank 1996 mit der Würde eines Ehrendoktors, was in demselben Jahr auch die Universität Genf tat. – Seit 2000 war v. Thadden Kommandeur der französischen Ehrenlegion, und 2007 empfing er den Verdienstorden des Landes Brandenburg. Fast gleichzeitig verlieh ihm der Bundespräsident das Große Verdienstkreuz mit Stern des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.
Bei aller Weltgewandtheit vergaß Rudolf v. Thadden nie seine pommersche Heimat und seine dortigen Wurzeln. Das beweist ebenso eindringlich wie anrührend sein großartiges und nachdenkliches Buch „Trieglaff. Eine pommersche Lebenswelt zwischen Kirche und Politik 1807-1948“, Göttingen 2010, polnische Übersetzung 2015. – Als die Historische Kommission für Pommern mit einer Tagung an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald 2011 ihr 100jährige Bestehen feierte – unsere Gesellschaft war Mitveranstalter – hielt Rudolf v. Thadden am Abend des 13. Mai den öffentlichen Eröffnungs- und Festvortrag „Pommern. Die Verpreußung einer Provinz“. Es war das letzte Mal, dass wir ihn in unserem Kreise hören konnten. Aber mit seinen Veröffentlichungen wird seine Stimme nicht verklingen, und wir werden dem angesehenen Gelehrten und treuen Pommern ein ehrendes Andenken bewahren.
Dr. Ludwig Biewer